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Gedenken in Musik: Mit Bratsche, Cello, Geige und Klavier gegen das Vergessen! 

Aktualisiert: 22. Dez. 2019

Mit einem besonderen Konzert erinnern Mitglieder des Orchesters der Deutschen Oper Berlin am 13. Januar 2020 in Wort und Musik an vier ehemalige Musiker des Orchesters des Opernhauses, die während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vertrieben oder ermordet wurden. Das Konzert ist Wladyslaw Waghalter, Max Rosenthal, Werner Lywen und Hans Kraus gewidmet.

Die Veranstaltung am 13. Januar im Rahmen der Reihe Tischlerei-Konzerte ist der Auftakt zu weiterer Erinnerungsarbeit und geplanten Veranstaltungen, mit denen Leben und Wirken von Orchestermusikern am Deutschen Opernhaus während der Zeit des Nationalsozialismus dokumentiert und nachvollzogen werden sollen.

Initiator und unermüdlich mit der Recherche von Lebenswegen, Angehörigen und Erinnerungsstücken und –texten befasst, die Aufschluss über Wirken, Überleben und/oder Tod der Verfolgten oder ermordeten Musiker geben, ist Benedikt Leithner, 1. Solo-Pauker des Orchesters der Deutschen Oper Berlin.

Leithner hat in einem Jahr umfassender Recherche bisher acht ehemalige Mitglieder des Orchesters des Charlottenburger, später Deutschen Opernhauses identifiziert. Im Rahmen seiner Recherchen hat er Kontakt zu Angehörigen aufgenommen, Lebenswege verfolgt, Archive besucht und Dokumente zusammen getragen. Leithner ist fast erstaunt, wie schnell und wie viel verschollen geglaubtes, überraschendes historisches Material zu finden war.

So barg eine Personalakte von Werner Lywen z. B. sogar die Kündigung des jüdischen Bratschisten, der in die USA emigrieren konnte und dort u.a. als Konzertmeister bekannt wurde. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis erhielt Werner Lywen die Kündigung: "Berlin, 31. Mai 1933 - Auf Grund des § 3 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums vom 4. Mai 1933 (Reichsgesetzblatt 1 Seite 233) kündigen wir Ihnen hiermit - vorsorglich - das Dienstverhältnis mit der Städtischen Oper AG zum 30. Juni 1933 wegen Ihrer nicht arischen Abstammung." Fotos geben den ehemaligen Orchesterkollegen ein Gesicht, Konzertkritiken gaben Aufschluss, welches Stücke von welchen Komponisten die Musiker aufführten. So entstand auch das musikalische Fundament des Konzerts, bei dem Werke von Haydn, Hindemith, Schulhoff, Ignaz Waghalter, dem Bruder Wladyslaw Waghalters, Strawinsky u.a. in Kammermusikbesetzung zur Aufführung kommen. Die Schauspielerin Margarita Broich, Mitglied des Vorstands des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin e.V., liest zwischen den Musikstücken aus den wiedergefundenen Dokumenten.

Die Verzweiflung der gekündigten und sanktionieren Musiker findet sich zwischen den Zeilen wieder, wie in einem Brief von Hans Kraus aus dem Jahr 1934 an die Intendanz der Städtischen Oper: "In meinem Alter und als Jude gibt es wohl kaum eine Möglichkeit eines Verdienstes, der aber auch dann, nach Ihren mir zugegangenen Bestimmungen, von meinem Ruhegeld in Anrechnung gebracht würde. Außerdem habe ich für meine schwer kranke Frau zu sorgen, die vor einem halben Jahr an Krebs erkrankte und zum dritten Mal operiert wurde. Da mir auch die Städtische Krankenkasse, deren Mitglied ich jahrelang war, die Mitgliedschaft entzog, muss ich die großen Krankenkosten selbst tragen. Ich bin in große Schulden geraten, da ich bis heute meinen Verpflichtungen gegenüber den Ärzten nicht nachkommen kann, und was für die Zukunft werden soll, weiß ich nicht". 1940 gelang Hans Kraus die Flucht nach Shanghai. Besonders berührend ist der Tagebuchbericht eines Mitgefangenen von Max Rosenthal, der ins Ghetto nach Minsk deportiert und dort umgebracht wurde. Der Geiger habe im Zug auf dem Weg nach Minsk ein Konzert für die Mitdeportierten gespielt: "5. und 16.11.1941 Fahrt ohne Ende. Kein warmes Essen noch Getränke. Toilette eingefroren. Lief alles über. Jauche rann ins Coupe. Abends ein herrliches Konzert mit Max Rosenthal."

Benedikt Leithner freut sich sehr, dass auch Familienmitglieder von Wladyslaw Waghalter und Werner Lywen das Konzert besuchen wollen. Ein erster persönlicher Austausch gelang via Skype. Seine Recherchen über das Schicksal weiterer Musiker wird er fortsetzen. Auch die Verlegung von Stolpersteinen sind in die Wege geleitet.

Mit ihrer Kammermusik-Reihe haben sich die Musiker und Musikerinnen des Orchesters der Deutschen Oper Berlin einen Wunsch erfüllt: Inspiriert von zentralen Produktionen des Opernspielplans, stellen sie Konzertprogramme mit Werken zusammen, die ihnen persönlich am Herzen liegen. Dabei werden sie von Sängern aus dem Ensemble des Hauses, aber auch von Gästen unterstützt.

Foto Benedikt Leithner: Bettina Stöß.

Foto Wladyslaw Waghalter: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:WWaghalter.jpg

Foto Charlottenburger Opernhaus: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ca/Deutsches_Opernhaus_Berlin_1912.jpg


Weitere Fotos: Qultur Berlin.

Redaktionelle Berichterstattung ohne Auftrag / keine bezahlte Werbung.


https://www.deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/2-tischlereikonzert-wider-das-vergessen.15952737


facebook.com/qulturberlin

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