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Brexit unter den Linden – Otto Nicolais Oper „Die Lustigen Weiber von Windsor"

René Pape (Sir John Falstaff) und Staatsopernchor,

Credits: Monika Rittershaus


An der Staatsoper unter den Linden scheint der Brexit fast schon vorweg genommen. Die Neu-Produktion der Spieloper „Die lustigen Weiber von Windsor“ zeichnet zumindest szenisch ein ebenso buntes wie tristes in die 1980er Jahre zurückgeworfenes englisches Vorstadtszenario. Was sich hier bewegt, sind zuerst einmal die Wäschespinnen in den Vorgärten.

Das Stück - nach Shakespeare - ist schnell erzählt. John Falstaff, ehemals Sir und Ritter, jetzt adipös und mindestens auf Hartz IV, ist in der Vorstadt gestrandet und auf der Suche nach Geld und Zuwendung. Schriftlich flirtet er parallel mit zwei verheirateten Bürgersfrauen – scharf ist er auf deren Geld. Die beiden Damen führen - aus Langeweile - Falstaff gehörig vor und ihre übereifersüchtigen spießigen Ehemänner gleich mit. Das Ganze endet in einer Riesenparty mit der Nachbarschaft, aus der wohl am nächsten Morgen nicht alle mit klarem Kopf aufwachen. Ein alternativer Sommernachtstraum.

Linard Vrielink (Junker Spärlich), David Oštrek (Dr. Cajus) und Staatsopernchor,

Credits: Monika Rittershaus


Der Star des Abends ist Otto Nicolai und der war musikalisch gesehen ein Europäer! Welch ein Melodienreichtum, mühelos wechselnd zwischen der italienischen Opera Buffa und der deutschen romantischen Musik in der Tradition eines Carl Maria von Weber. Nicolai dirigierte die Uraufführung seiner Oper vor 170 Jahren im damaligen Königlichen Opernhaus unter den Linden auf Wunsch des Königs, der ihn ein Jahr zuvor zum Hofkapellmeister ernannt hatte. Wer weiß, was Nicolais früher Tod 1849, nur wenige Wochen nach der Uraufführung verstarb er überraschend, für eine Weiterentwicklung des so leichten wie anmutigen und humorbegabten Genres verhindert hat und wie viel wunderbare Musik! Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ ist bis heute sein bekanntestes Werk geblieben, es steht als sogenannte deutsche Spieloper in der Tradition von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ oder Lortzings „Zar und Zimmermann“.

Pavol Breslik (Fenton) und Anna Prohaska (Jungfer Anna Reich),

Credits: Monika Rittershaus


Als musikalischer Wanderarbeiter durch das Europa seiner Zeit (Wien, Berlin, Rom, Mailand) ziehend, konnte sich Nicolai mühelos in alle gängigen Opernformen einarbeiten und so ist das Stück musikalisch gesehen höchst europäisch.

Michael Volle (Herr Fluth),

Credits: Monika Rittershaus


So spielerisch die Form anmutet, umso politischer erscheint jedoch die Entstehungsgeschichte des Stücks. Nicolai hatte die Musik bereits 1846 in groben Zügen skizziert als er noch erster Kapellmeister an der Wiener Hofoper war und dort mit einem Akademiekonzert 1842 die heutigen Wiener Philharmoniker mit aus der Taufe gehoben hatte. In Wien wurde jedoch die Uraufführung der „Lustigen Weiber“ abgelehnt und Nicolai folgt dem Ruf des Preußen-Königs Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin. Dort trat er 1848 seine Stelle als Hofkapellmeister und Leiter des königlichen Domchores an. Die geplante Uraufführung fiel jedoch den 1848 ausbrechenden Märzunruhen zum Opfer, die junge demokratische Bewegung ging auf die nahe der Oper aufgerichteten Barrikaden und dem König gelang erst in den folgenden Monaten die Konsolidierung der Monarchie und damit auch seines Hoftheaters. Erst am 9. März 1849 gelangten die „Lustigen Weiber“ zur Uraufführung und fanden in den folgenden Jahren Eingang in das deutschsprachige und europäische Opernrepertoire.

Mandy Fredrich (Frau Fluth) und Michaela Schuster (Frau Reich), Credits: Monika Rittershaus


Überhaupt steht an diesem Abend die Form der Deutschen Spieloper der Staatsoper unter den Linden gut zu Gesicht und dringend in den Startlöchern zur Wiederentdeckung eines ganzen Genres. Dies gilt ganz besonders für die musikalische Seite des Stücks. Und hier setzt der schwieriger einzuordnende Teil des Abends an. Die auf der Kante zwischen stellenweise übertrieben wirkendem, Comedy getriebenem Slapstick und ernstgenommener Empathie für die Nöte der handelnden Figuren angelegte Inszenierung balanciert das Kreativteam stellenweise zu flach aus. Denn so unpolitisch der Inhalt der Oper ist, hat sie doch nicht nur eine vordergründige vergnügliche Seite. Insbesondere die zentrale Figur des verarmten Ritters John Falstaff, immerhin mit einem Sir geadelt, hat durchaus tragische Züge von Einsamkeit, Alter und gesellschaftlichem Absturz, einer Selbstentäußerung mit Flirts um Geld, und das wirtschaftliche Überleben. Eine Außenseiterrolle, die durchaus auch das Zeug zum Mobbingopfer hat. Die saturierte Langeweile der gut situierten bürgerlichen Damen, deren Jammern auf hohem Niveau einzig der Eifersucht der Ehegatten gilt und auch die romantische Versponnenheit deren behüteter Kinder ist durchaus mokante Gesellschaftskritik von Nicolais komödiantischem Geist in Noten gefasst.

René Pape (Sir John Falstaff), Credits: Monika Rittershaus


Neues aus dem Speckgürtel Doch die als Konzeptansatz dieser Inszenierung explizit zugrunde gelegte nostalgische Erinnerungswelt des Kreativteams an das eigene Aufwachsen in den 1970er und 80er Jahren, die sich in einer stilistisch entsprechenden Ausstattungs- und Requisitenschlacht Bahn bricht, macht diese Gratwanderung stellenweise arg platt. So erscheint Falstaff (René Pape) in einem gigantischen Fatsuit, Hängebauch über der Hose, in Billigsandalen mit Tennissocken, mit strähnigen langen Haaren eher als bedauernswertes Opfer der Ausstattungsabteilung, denn seiner eigenen durchaus charmanten Schwachstellen. Der Rest eigener Würde verschwindet in einer Art Adelsprekariat. Dieser arme Ritter ist nicht auf Hartz IV, sondern - zumindest optisch - schon auf Hartz VIII angekommen. Die Requisitenabteilung der Staatsoper hatte gut zu tun. Vom Gymnastikball bis zum unteramlangen Knochenhandy, von der Alarmanlage an der Einheitsbeton-Bungalowhälfte bis zu den weißen Plastikgartenstühlen, eine Orgie in Suburbia-Vorstadt-Tristesse. Für die in Puschelhausschuhen schon vormittags gegen die Langeweile Sektchen pichelnden Hausfrauen liegen Maniküreset und Hornhauthobel auf dem Gartentisch bereit. Die junge Generation erscheint in zerrissenen Jeansshorts, Springerboots und Schlabber-T-Shirts, den Walkman am Gürtel eingeklinkt. Swimmingpool hinterm Haus, akkurate Hecken nebst Gartenschere, der obligatorische Garten-Grill und schließlich ein Meer von Wäschespinnen bieten jede Menge Aktionseinsatz. Schließlich macht Herr Fluth im Wäschetrog mit der Kettensäge Jagd auf Falstaff. Man fragt sich ab und zu schon, wo sind die armen „Jungs“ David Bösch (Regie), Patrick Bannwart (Bühne) und Falko Herold (Kostüme) nur aufgewachsen? In diesem Über-Spaß-Kontext bleibt die Regie jedoch recht konventionell. In der einleitenden Briefszene zum Beispiel wird die kompromittierende Doppel-Post brav abgelesen. Ansonsten agiert die gesamte Besetzung in bestens gestimmter Spiellaune. Hier liegt das Glück in einer durchweg grandiosen Besetzung, die jeder Wagner-Oper angemessen wäre. Allen voran Michael Volle als vor mühsam unterdrückter Eifersucht kochender und umso beherrschter herrlich schlank akzentuiert bassbaritönend singender Herr Fluth. Mandy Fredrich als seine schwangere Ehefrau geht die koloraturreiche Partie mit Leichtigkeit und durchaus bestimmt an, altstimmlich sehr angenehm co-kuratiert von ihrer Sister in Crime Michaela Schuster als Frau Reich, die mit dem Habitus einer Zarah Leander der Vorstadt stets mit einem Glas zur Hand über den Rasen schreitet. Wilhelm Schwinghammer ist ihr resoluter Ehemann mit stimmstarkem Bass.

Anna Prohaska und Pavol Breslik zaubern beide dem jungen Paar jugendlich strahlende, höhensichere Töne in die Kehlen. Erfrischend komisch und stimmlich mit Schmackes gestalten Linard Vrielink (Tenor) und David Ostrek (Bariton) das Verehrerpaar Spärlich und Dr. Cajus. Schade nur, dass eine eher platte Travestienummer die beiden am Ende als Paar zusammenführt.


Rendezvous unter der Wäschespinne

Dreh- und Angelpunkt der Oper ist Sir John Falstaff, dem René Pape mit geschmeidigem Bass und profund Ausdruck verleiht - ganz im Gegensatz zu seinem dermaßen prekären Erscheinungsbild, das die Figur – anders als bei Shakespeare – hier szenisch und optisch etwas zu sehr reduziert. Der Chor des Hauses begleitet im ersten der beiden großen Chorstücke das Aufgehen eines riesigen Mondes über den selbständig rotierenden Wäschespinnen der Vorstadt wunderbar uptempo gesungen aus dem Off. Und was machen Daniel Barenboim und die Staatskapelle? In der - zum Glück szenisch unbespielten - Ouvertüre schon werfen sie mit flirrenden Streichern, volltönenden Bläsern und akzentuiertem Schlagwerk einen verheißungsvollen transparenten sommernachtstraumhaften Blick auf das alles klärende Finale. In breiten Bögen herrscht hier allerseits „Witz, heit‘re Laune“, wie es Frau Fluth später in ihrer großen Arie benennt. Es steht Nicolais Musik nach 170 Jahren absolut zu, auf diesem Niveau zu erklingen.

Weitere Termine voraussichtlich in der kommenden Spielzeit.


Fotos: Pressestelle der Staatsoper Unter des Linden.

Premiere am 3. Oktober 2019. Fotos: Monika Rittershaus.

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