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Deutsche Oper Berlin: In Wort und Ton gegen das Vergessen! #3


Berührende Konzert-Reihe wird fortgesetzt

In zwei besonders beachteten und berührenden Konzerten im Rahmen der Kammermusik-Reihe von Musikerinnen und Musikern des Orchesters der Deutschen Oper Berlin erinnerten im Januar 2020 und im März 2022 Mitglieder des Orchesters in Wort und Musik an ehemalige Musiker des Orchesters des Opernhauses, die unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vertrieben oder ermordet wurden. Nun wird die Reihe mit einem weiteren Gedenkkonzert in der Tischlerei fortgesetzt.


Das erste Konzert war Wladislaw Waghalter, Max Rosenthal, Werner Lywen und Hans Kraus gewidmet. Das zweite erinnerte an Alfons Hirsch, Max Nelken, Kurt Oppenheimer und Ernst Silberstein.

Im dritten Konzert der Reihe werden Mitglieder der Städtischen Oper (bis 1933) und des Deutschen Opernhauses (ab 1934) vorgestellt, die von den Nationalsozialisten ausgeschlossen, verfolgt oder ermordet wurden. Erstmals sind es Künstlerinnen und Künstler anderer Gewerke des Opernhauses.


Den Biografien Verfolgter auf der Spur

Initiator der Konzertreihe und unermüdlich mit der Recherche von Lebenswegen, Angehörigen und Erinnerungsstücken und –texten befasst, die Aufschluss über Wirken, Überleben und/oder Tod der Verfolgten Künstlerinnen und Künstler geben, ist Benedikt Leithner, 1. Solo-Pauker des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Zusammen mit den Orchesterkollegen und der Schauspielerin Margarita Broich stellt er nun nach neuen Recherchen mit biografischen Erzählungen den Theatermaler Georg Freude, der Kommunist war, sowie drei jüdischen Künstlerinnen: die Sopranistin Beata Malkin, Chormitglied Wally Ofner-Tuchler und die Tänzerin Julia Marcus. Sie alle wurden während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und vertrieben. Deshalb gestalten das künstlerische Programm dieses Gedenkkonzerts neben Orchestermitgliedern Oliver Boyd (Chor), Sua Jo (Ensemble) und die Solo-Tänzerin des Staatsballetts Iana Balova. Die Texte spricht die Schauspielerin Margarita Broich. Es erklingen Werke von Johannes Brahms, Hanns Eisler, Julius Fučik, Hans Krása, Pavel Haas, Igor Loboda sowie John Cage.

Die Musikauswahl für dieses Konzert orientiert sich an Werken, an denen die vier Charlottenburger Künstler mitwirkten bzw. sind assoziativ zu biografischen Ereignissen gewählt. Fotos geben den ehemaligen Mitarbeitenden des Opernhauses ein Gesicht, Margarita Broich wird aus Briefen und offiziellen Dokumenten zitieren.

 

Vier von Vielen

Alle vier Vorgestellten überlebten, erlitten dennoch KZ, Gefängnis, Flucht und Repressalien.

So entging Wally Ofner-Tuchel nur mit Glück dem Tod in den Vernichtungslagern Westerbork und Theresienstadt, da sie auf einer Liste getaufter Juden geführt wurde. Wie die Sopranistin Beata Malkin wurde sie 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft aus der Oper entlassen.


Malkin war während ihres Engagements eine der führenden Sopranistinnen an der Städtischen Oper, emigrierte zunächst in die Sowjetunion, später in die USA.


Beata Malkin singt die Briefszene aus Eugen Onegin 1929


Der Theatermaler Georg Freude wurde aus politischen Gründen zwei Jahre inhaftiert und Anfang der 1940er Jahre unter besonderer politischer Beobachtung wieder als Theatermaler eingestellt. Seine Festnahme erfolgte nach Denunziation aus dem Opernhaus.



Auch die Tänzerin und gebürtige Schweizerin Julia Marcus wurde 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft entlassen und auch wegen politischer Unzuverlässigkeit. Diese hatte sie nach Sicht der Behörden durch eine getanzte Hitlerparodie in zwei Berliner Kabaretts bewiesen. Im Hakenkreuzkostüm mit Hitlermaske aus Pappmachée tanzte sie neben ihrer Anstellung im Tanzensemble der Städtischen Oper spätabends zu Julius Fucíks Marsch Einzug der Gladiatoren über die Bühne des berühmten Kabaretts der Komiker.


Spurensuche in Archiven

"Dieses Mal sind keine Nachkommen unserer Protagonisten bekannt", erzählt Benedikt Leithner. "Ich war also auf Dokumente und weitere Spuren angewiesen“. So habe er über die Tänzerin Julia Marcus z.B. durch eine TV-Dokumentation „Tanz unterm Hakenkreuz von Annette von Wangenheim viel erfahren.

Benedikt Leithner freut sich auch über große Unterstützung der Archive, deren wichtige Funktion des Erinnerns, Zeugnisgebens und Sichtbarmachens von Zusammenhängen nicht hoch genug geschätzt werden könne.

Der Musiker ist inzwischen Stammgast im Landesarchiv Berlin und im Bundesarchiv Auch im Archiv der Deutschen Oper Berlin hat er Dokumente und Hinweise gefunden. Inzwischen habe er Materialien und Biografien vorliegen, die 5-10 weitere Konzerte ermöglichen würden. "Ich mache weiter, solange es Interesse gibt", sagt Leithner

 

Das Opernhaus verlor große Künstler

Nach den ersten beiden Konzerten gab es sehr viele positive Rückmeldungen, berichtet Benedikt Leithner, vor allem auch von Mitarbeitenden der Deutschen Oper. Was mit jedem Konzert und jeder Biografie deutlicher wird, ist das riesige künstlerische Potential, das dem Opernhaus und dem Publikum durch die Verfolgung verloren ging. Es zeigt quasi unter dem Brennglas den Exodus von Kunst und Kultur einer ganzen Epoche und eines ganzen Kulturkreises.


Stolpersteine

Inzwischen sind auf Initiative von Benedikt Leithner und des Orchesters auch Stolpersteine für zwei der acht Musiker und ihre Familien, die nicht emigrieren konnten und ermordet wurden oder während der Deportation starben, verlegt worden. In Schöneberg und in Tiergarten gab es Zeremonien mit Anwohnern und sogar Videobotschaften von Angehörigen aus anderen Ländern. Leithner sieht das als Teil seiner Arbeit an.

Für Wladyslaw Waghalter und seine Familie liegen Stolpersteine vor dem Haus Brandenburgische Str. 43 in Berlin-Wilmersdorf.

Für Max und Edith Nelken liegen Stolpersteine am Kaiserdamm 8 in Berlin-Charlottenburg.


Ausblick auf Konzert #4

Auch das übernächste Erinnerungskonzert für verfolgte ehemalige Mitarbeitende des Opernhauses steht schon fest. Es wird am 9. Oktober 2023 als Sinfoniekonzert stattfinden, diesmal im großen Haus. So soll an die Lebenswege zweier verfolgter Dirigenten und eines Korrepetitors des Opernhauses erinnert werden. Erinnert werden soll dabei an Paul Breisach, 2. Kapellmeister, Fritz Stiedry, 1. Kapellmeister, und den damals ganz jungen Korrepetitor Kurt Sanderling. Das Konzert ist als Benefizkonzert für das neue Berliner Exilmuseum geplant. Zukunftsmusik mit großer Vergangenheit!

 

Konzerte in der Tischlerei

Mit ihrer Kammermusik-Reihe erfüllen sich die Musiker*innen des Orchesters der Deutschen Oper Berlin einen Wunsch: Inspiriert von Produktionen des Opernspielplans, stellen sie Konzertprogramme mit Werken zusammen, die ihnen am Herzen liegen. Die Konzerte finden in den Bühnenbildern der jeweils aktuellen Tischlerei-Produktion statt.

 

Tickets

Für das Konzert am 7. Februar 2023 in der Tischlerei gibt es noch Karten.


Hinweis und Nachweis

Hinweis: Redaktionelle Berichterstattung/keine Werbung.


Foto Benedikt Leithner: Bettina Stöß

 

Fotos Stolpersteine: Bendikt Leithner.


Foto Deutsches Opernhaus: Wikimedia Commons


Fotos Deutsche Oper: facebook.com/qulturberlin


Fotos Julia Marcus: zur Verfügung gestellt von Benedikt Leithner


Foto Transportkarte Wally Ofner-Tuchler: zur Verfügung gestellt von Benedikt Leithner

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