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Die Macht des Kinos: Deutsche Oper zeigt eine Neuinszenierung von Verdis LA FORZA DEL DESTINO

1937 wurden die Filmstudios Cinecittà in Rom eingeweiht. Der faschistische Diktator Mussolini sprach Grußworte und proklamierte: „La cinematogafia e l‘arma più forte“ – Kino ist die stärkste Waffe. Für die faschistische Massenkommunikation war der Film in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ein wichtiges Instrument.

In der Neuproduktion an der Deutschen Oper Berlin, nutzt Regisseur Frank Castorf die kommunikative Wirkung von Bewegtbildaufnahmen und setzt auf Film- und Videoeinspielungen.


Die letzte Inszenierung dieses Werks an der Deutschen Oper Berlin ist Legende: Hans Neuenfels’ radikal aktualisierte Version polarisierte 1982 das Publikum. Nun setzt sich ein weiterer großer deutscher Regisseur mit dem Stoff auseinander und zumindest in der Premiere soll sich das Publikum treu geblieben und nach Monologen und Textzitaten aus Heiner Müllers „Der Auftrag“ und Curzio Malapartes Roman „Die Haut“ einen ähnlichen Skandal von Zustimmung und Ablehnung entfacht haben, mit Spielabbruch und lautstarkem Für und Wider wie schon 37 Jahre zuvor. In der vierten Aufführung war davon kaum mehr die Rede, ein paar müde pflichtbewusste Buhs und „Verdi“-Rufe streichelten hier nur die Zuschauerseele. Und das ist richtig, denn Castorf macht den mit verwinkelten Handlungssträngen im fernen Spanien des 18. Jahrhunderts angelegten Opernstoff zu einem politischen Ausrufezeichen, das das Augenmerk Friedensverwöhnter mitteleuropäischer Operngänger auf die jüngere Geschichte und die Schrecken von Krieg und Faschismus, Kriegsgewinnlertum lenken soll. Die Grundidee: Schicksal ist der unabwendbare Zufall, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, und das heißt hier im Krieg zu sein.

In wüsten Massenszenen schildern Verdi und Regisseur Frank Castorf eine enthemmte Gesellschaft, in der nur noch das blanke Überleben zählt und die Gewalt jegliche Moral ersetzt. Damit ist LA FORZA DEL DESTINO Verdis verstörendste Oper und von einer Aktualität, die sich durch neue Bürgerkriege und Gewalttaten, den 1. und 2. Weltkrieg, bis ins Heute zum Krieg in Syrien zieht. Denn auch der Komponist des Stückes, der Italiener Giuseppe Verdi war politisch. Er unterstützte, auch aktiv als gewählter Volksvertreter, die Einigung Italiens. Schon bei NABUCCO 1842, 20 Jahre vor LA FORZA DEL DESTINO im steuerte er in Verkleidung einer alttestamentarischen Handlung eine Stellungnahme zur aktuellen Konfliktlage zwischen Italienern und Österreichern bei, die damals den Norden Italiens besetzt hatten. Mit den mächtigen Chorstellen und insbesondere dem Chor „Va pensiero“ gab der Komponist seinen Landsleuten eine indirekte Stimme gegen die Unterdrückung. Tatsächlich bezieht das gesamte Werk seine Antriebskraft aus der Polarität extremer entgegengesetzter starker Gefühle, verstärkt durch denkbar schlechte Rahmenbedinungen, denn der herrschende Krieg setzt alle gültigen menschlichen außer Kraft. Neben Liebe, Hass, Rache herrschen Gewalt, Rohheit und Unmoral. Leonora und Alvaro fliehen nachdem durch einen Unfalls ein Schuss aus Alvaros Waffe Leonoras Vater getötet hat. Leonoras Bruder Don Carlo verfolgt rachedurstig die beiden über alle Grenzen hinweg. Leonora und Alvaro werden in Kriegswirren getrennt. Leonora sucht den letzten Ausweg in einem Kloster. Alvaro hält Leonora für tot und meldet sich zum Kriegsdienst. Während eines Kampfes rettet er, ohne ihn zu erkennen, Leonoras Bruder Don Carlo. das Leben. Beide werden Freunde, bis Alvaro in einem Gefecht verletzt wird und den Freund bittet, persönliche Gegenstände zu vernichten. Dabei fällt das Bild seiner Schwester Leonora Alvaro in die Hände. Don Carlo fordert Alvaro zum Zweikampf auf, Alvaro will die tot geglaubte Leonora suchen und begibt sich zum Kloster. Derweil amüsieren sich Marketenderinnen und Soldaten im Militärstützpunkt, zum Ärger des Priesters Fra Melitone. Die Marketenderin Preziosilla, hetzt Soldaten und Volk erneut zum Kriegführen auf. Don Carlo ist Alvaro gefolgt, beide kämpfen ganz in der Nähe von Leonoras abgelegener Höhle. Carlo wird verwundet, er ersticht Leonora, die ihm zu Hilfe kommen will.

Und Frank Castorf, der ein Vierteljahrhundert mit seinen Inszenierungen an der Volksbühne Theatergeschichte schrieb hat recht, wenn er in LA FORZA DEL DESTINO, den Focus auf die Folgen von Krieg und Gewalt legt und darauf, wie sie Menschen verändern. Bei Castorf wird dieser zentrale Grundgedanke des Stücks durch die Verortung in die uns heute nähere Zeit des spanischen Bürgerkriegs Mitte der 1930er Jahre und später im Neapel von 1943 festgemacht, wo im zweiten Weltkrieg alliierte Truppen als erste am südlichsten Punkt Europas landeten und von dort aus die Befreiung der europäischen Länder von nationalsozialistischer und faschistischer Besetzung begannen. Dazu nutzt das Kreativteam unter anderem eingeblendete und rezitierte Textstellen von Heiner Müller und aus den Romanen „Die Haut“ und „Kaputt“ des Italieners Curzio Malaparte, der in diesen Werken in surrealistischer Zuspitzung die Gräuel des Kriegs schildert. Castorf sagt im Programmheft, der Alltag breche in die hohe Kunst der Oper ein. „Und ich ziehe mit Verdi ins Neapel 1943, in die Welt des Schriftstellers Curzio Malaparte, der in seinem Roman „Die Haut“ beschreibt, wie die Amerikaner in Sizilien landen. Wie Mussolini gestürzt wird. Wie Italiener, die zuvor im Widerstand gegen die Faschisten gearbeitet haben, plötzlich ihre Brüder, Töchter, Mütter verkaufen. Es herrscht Sodom und Gomorrha. Auch so kann Befreiung aussehen.(…). Die Musik ist so schön, aber Verdi wollte wachrütteln.“ Zwei Ebenen schafft Castorf mit seinem Kreativ-Team über die Grundhandlung hinaus: Die hinzuerfundene Leidens-Figur des Indio (Ronnie Maciel) und die Einspielungen von Live- und aufgezeichneten bzw. aus historischem Filmmaterial kopierten Videos. Die Indio-Figur irritiert. Sie geistert, mal im Pailletten-Bikini, mal in Militärkleidung, mal in Selbstkreuzigung durch das Stück. Steht sie für alle am Schicksal Leidenden, steht sie für Alvaro und die von den Kolonialherren mit Sklaverei und weiteren Verbrechen überzogenen Indios, steht sie für alle Opfer des verteufelten wie forcierten Kriegsgeschehens? „La Cinematografia è l’arma più forte“ kerbt Aleksandar Denic das Mussolini-Kopf ins Bühnenbild. Vom Diktator als Waffe bezeichnet, setzt Castorf die Kinematografe ein, um den Schrecken zu doppeln. Die eingespielten vorbereiteten Videos und Live-Videoübertragungen machen das gesungene Wort vom Krieg und seine Gräuel im allgemeinen sichtbar, schaffen einen Subtext, der ganz konkrete Auswüchse wie z.B. die Care-Pakete-Schmuggler, blutige Feldchirurgie und die persönlichen Leiden der handelnden Figuren in Mimik und Haltung illustrieren. Und sie setzen einen leidvollen Kontrapunkt zu den hetzerischen Chören der Kriegstreiber im Stück, z.B. mit auf Austernplatten angerichteten menschlichen Augen oder den schneeverstopften Schlachtfeldern, übersät mit erfrorenen Pferdeleichen. Aleksandar Denic schafft im Bühnenbild eine kongeniale Lösung des schnellen Schauplatzwechsels: im ansonsten leeren Bühnenraum verquickt die Drehbühne Kriegsschauplatz, Kloster, Wirtshaus, Armee-Checkpoint und Feldlazarett in schnellem Wechsel, im Inneren des Aufbaus finden die Video-Live-Aufnahmen statt, die auf hängenden Leinwänden eingespielt werden. Auch Dirigent Jordi Bernàcer folgt Castorf mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin durch die atemlose Handlung. Klingt die Ouvertüre noch verhalten, findet das Orchester recht schnell zu seiner Form. Der Chor der Deutschen Oper präsentiert sich in Bestform stimmlich wie darstellerisch präsent und intensiv in den großen Chorszenen. Gestaltungsstark und in der Figurenzeichnung am eindringlichsten sind Misha Kiria als durchschlagender Fra Melitone, Elena Maximova als Marketedenderin Preziosilla und Markus Brück als stimmstarker rachelodernder zynischer Bruder Carlo. Sie tragen die Handlung. Brück überragendes darstellerisches Können wird durch die Live-Videos mit Großaufnahme auf sein Gesicht verstärkt. Preziosilla ist die skrupeloseste Figur der Handlung. Sie schwingt die MP und ihr gellendes irritierendes Motto „Viva la guerra“ bringt das Kriegsrasen des Volkes zum Ausbruch. Mit volltönendem Mezzosopran ist die Marketenderin eine von Schillers Wallenstein inspirierte Figur, kompromisslose Kriegsgewinnlerin, eine obszöne frühe Mutter Courage, die ihr Geschäft mit dem Krieg machen will María José Siri gibt der Leonora mit rundem, warmem Sopran in allen Lagen prachtvolle Töne, ihre „Pace, pace“-Arie gehört zu den anrührendsten Momenten. Russell Thomas als Alvaro ist spielintensiv präsent mit warmem dunklem Tenor, die stählerne Höhe ist stark, insbesondere im Duett mit Carlo. Berührend ist auch das Duett zwischen Klostervorsteher Pater Guardian und Leonora bei der Aufnahmeszene im Kloster. Marco Mimica singt das mit wunderschönem Bass und vollem runden Tondesign. Frank Castorf hat recht, wenn er aus Verdis Macht des Schicksals sein Fazit zieht: die Schrecken des Krieges sind total, es gibt keinen Sieger, nur Verlierer, auch die vermeintlichen Sieger werden zu Verlierern. Und das trifft auch auf die Hautfiguren zu.

Premiere an der Deutschen Oper Berlin war am 8. September 2019. Besuchte Vorstellung am 28. September 2019


Fotos: Pressestelle der Deutschen Oper Berlin - "La forza del destino" von Giuseppe Verdi, Regie: Frank Castorf, Premiere am 8.9.2019, Copyright: Thomas Aurin


Video: YouTube Kanal der Deutschen Oper Berlin


https://www.youtube.com/watch?v=EbiMfgzMacE

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