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Eine Diva ist eine Diva ist eine Diva - Adriana Lecouvreur an der Deutschen Oper Berlin

Aktualisiert: 6. Sept. 2019

Adrienne Lecouvreur betritt die Bühne und das Publikum frisst ihr spätestens nach den ersten dramatisch proklamierten Tönen aus der Hand. Die Darstellerin ist ein Superstar, auf der Höhe der Zeit, kommunikativ geschickt und eine Garantin für ein volles Haus. So mag es sich um 1717 in der wenige Jahrzehnte zuvor gegründeten Comédie Française in Paris zugetragen haben, als die junge Adrienne Lecouvreur, Tochter einer Wäscherin und eines Hutmachers, dort in den Dramen des französischen Hofdichters Jean Racine auftrat und höchste Anerkennung und Zuneigung für ihren damals neuen unpathetischen Darstellungsstil erhielt. So mag es 1913 gewesen sein, als die große französische Tragödin Sarah Bernhardt für ihre Darstellung der Adrienne Lecouvreur in einem frühen Stummfilm gefeiert wurde. Und so ist es 2019, wenn Anna Netrebko die Bühne der Deutschen Oper Berlin betritt und mit großer Geste, tiefer Sprechstimme und einem Buch in der Hand eine Theaterrolle memorierend die erste Arie der Adriana beginnt. Auf drei Erlebnis-Ebenen vollzieht sich dabei das gleiche Bild und gibt den perfekten Rahmen für diese Aufführung.

Sie kam sah und - sang! Presse und Fans hatten bis kurz vor der ersten von zwei konzertanten Aufführungen von Francesco Cileas Operndrama "Adriana Lecouvreur" an der Deutschen Oper Berlin spekuliert, ob Sopran-Superstar Anna Netrebko tatsächlich nach Berlin kommen und die Titelpartie singen würde. Hatte die Sängerin doch im vergangenen Sommer mehrfach ihre Mitwirkung an Aufführungen, u.a. auch bei einer von drei konzertanten Aufführungen bei den Salzburger Festspielen abgesagt. Doch sie kam sah und - sang!

Francesco Cilea (1866–1950) galt neben Puccini als großer Hoffnungsträger der Oper. „Adriana Lecouvreur“ ist sein bis heute bekanntestes Werk mit zwei populären großen Sopran-Arien. Selbst Giuseppe Verdi soll mit dem Gedanken gespielt haben, eine Oper über die Schauspielerin zu schreiben. Der Diven-Kult zieht, gilt doch die Titelpartie der Adriana als Signature-Rolle jeder großen Sopranistin. Das unübersichtliche Eifersuchtsdrama (nach einer Vorlage von Eugène Scribe, der es 1849 in einem Theaterstück über Adrienne Lecouvreur dramatisierte), in dem Veilchen mit Nebenwirkungen eine Rolle spielen, und das sich auf die historische Figur der französischen Schauspielerin Adrienne Lecouvreur bezieht, die ab 1717 an der Comédie Française in Paris ein gefeierter Star war, endet für die Titelheldin jedenfalls tödlich.

Adrienne und die Fürstin von Bouillon sind beide in den Grafen Moritz von Sachsen verliebt. Am Ende stirbt Adrienne, mutmaßlich durch einen giftigen Veilchenstrauß der Nebenbuhlerin, nachdem Moritz sich zu ihr bekannt hat. Aus dieser Perspektive scheint es richtig, das Stück konzertant anzusetzen, Cileas farbige, emotionale Musik eignet sich bestens für den dramatischen Gestus, bei dem Anna Netrebko darstellerisch aus dem Vollen schöpft, auch ohne Bühnenbild, Kostüme und eine Inszenierung. Die Theater-auf-dem-Theater-Thematik der Oper lässt die Partie der Adriana zu einer Paraderolle für Anna Netrebko werden. Und die macht sie sich von Beginn an zu eigen, nicht nur mit pompösen Kostümen. In einem fließenden grünen Gewand (es folgen im Laufe des Abends ein orangefarbenes glitzerndes und ein schlichtes schwarzes) schreitet Netrebko zur Tat, mit der ersten Arie „Io son l’umile ancella“ als bescheidene Dienerin der Kunst, wie es im Stück heißt, setzt sie den Maßstab für alles Kommende. Voll, tief in der Mittellage und dunkelst gefärbt, führt sie die Stimme mühelos in die Höhe, vom Fortissimo ins Pianissimo und zurück. Stimmlich und darstellerisch zieht sie alle Register, deklamiert, gestikuliert, gibt pantomimisch eine große Theaterszene im Hintergrund und räumt sogar dabei einmal ein Notenpult der Kollegen beiseite, wenn es das dramatische Schreiten entlang der Rampe stört.

An ihrer Seite wirft sich Yusif Eyvazov als Moritz von Sachsen, darstellerisch empathisch, mit Spannung und Verve in die Rolle. Er tritt in große Fußstapfen, was die Erwartungen des Publikums betrifft. In der Uraufführung 1902 in Mailand sang Enrico Caruso die Partie, seine Interpretation war maßgeblich für den Erfolg der Oper. Stimmlich hat er keine Mühe, die geforderten Höhen zu erreichen, seine große Arie "L'anima ho stanca" klingt makellos.

Doch auch Adrianas Gegenpart in Gestalt der Fürstin von Bouillon ist eine musikalisch dankbare Partie. Olesya Petrova ist gestalterisch viel feiner als Netrebko, mit vollem Mezzo-Sopran zeichnet sie musikalisch und gestisch ein differenziertes Bild der zwischen Rache, Liebe und Besorgnis schwankenden Fürstin von Bouillon. Ihr zur Seite eine der Entdeckungen des Abends: Patrick Guetti verströmt als Fürst von Bouillon eine so profunde wie warme und elegante Baßstimme, dass es eine Freude ist, ihm zuzuhören.

Das Konzertzimmer der Deutschen Oper ist ein starker Resonanzraum, der Dirigent animiert Orchester und Solisten zu viel Forte und so gerät der gesamte Abend der Lautstärke nach ein bisschen zu sehr auf die Fortissimo-Ebene. Was schade ist, denn das Stück hat viele Parlando-Stellen, schnelle gesungene Dialoge mit Witz und Esprit. Michelangelo Mazza und das Orchester der Deutschen Oper Berlin gestalten trotzdem die Tonsprache Cileas, die neben einem großen wiederkehrenden Schicksalsmotiv filmmusikhafte Anklänge fast vorwegnimmt, sehr farbenreich und emotional.

Aus dem spielfreudigen Ensemble ist Alessandro Corbelli als treu ergebener Inspizient Michonnet Adriana ein anrührender Begleiter mit stimmlicher Noblesse. Einen großsprecherischen Abate di Chazeuil mit textlichem Biss bietet Burkhard Ulrich. Ein exzellentes Quartett frischer, gewandter Stimmen als Theaterkollegen der großen Lecouvreur sind Aigul Akhmetshina (Mademoiselle Dangeville), Vlada Borovko (Mademoiselle Jouvenot) und Ya-Chung Huang (Poisson) sowie Padraic Rowan (Quinault). Der Chor der Deutschen Oper Berlin ist nur an wenigen Stellen, dort jedoch stimmgewaltig, in die Aufführung eingebunden. Nachdem Adriana in einer letzten dramatischen Szene einen melodischen Bühnentod gestorben ist, rufen die Fans in der Deutschen Oper einer der derzeit bewundertsten Sängerinnen der Welt lautstark ihre Verehrung entgegen. Publikum und Akteure baden gleichermaßen im anhaltenden Schlussapplaus: jenseits und diesseits der Rampe schwingen Seelen im Gleichklang. Friede, Opernfreude, Einigkeit auf der Deutungsebene: so darf Oper auch mal sein.

Noch einmal am 7. September 2019 in der Deutschen Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin

www.deutscheoperberlin.de

Fotos: Pressestelle der Deutschen Oper Berlin

ADRIANA LECOUVREUR (konzertant), Deutsche Oper Berlin Premiere am 4.9.2019, copyright: Bettina Stöß

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