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Berliner Biographien: „Von Schopenhauer zum Gassenhauer“ – der Textdichter und Autor Robert Gilbert

Aktualisiert: 19. Jan. 2020

Robert Gilbert - ein Wortartist zwischen Agitprop und Operette: Elegant spannte der Textdichter, Autor und Librettist das Seil zwischen den Buchstaben A und Z. Beim literarischen Seiltanz seines Lebens jonglierte der 1899 in Berlin geborene Sohn des erfolgreichen Komponisten Jean Gilbert geschmeidig mit Worten und Sätzen und verlor dabei rechts und links quasi en passant Texte für Weltschlager wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir Segeln geh‘n“, „Das gibt‘s nur einmal“ oder „Ein Freund, ein guter Freund“. Aus seiner Feder flossen Operettenlibretti, Filmsongtexte und Drehbücher, Lyrik, Romanthriller, Kabaretttexte, aber auch politische Lieder und Gedichte, die Ernst Busch sang und Hanns Eisler vertonte.

Zum 120. Geburtstag des Berliner Allround-Spachkünstlers erschien im Herbst 2019 eine umfassende Biographie von Christian Walther im Christoph Links Verlag. "Ein Freund, ein guter Freund" ist die erste Biographie, die das bewegte Leben des Autors, dessen Texte noch heute präsent sind, nachvollzieht.

Christian Walther hat akribisch recherchiert und es ist ihm gelungen, sowohl die Person Robert Gilberts als auch die Texte des produktiven Berliners aus der weitgehenden Vergessenheit wieder ins rechte Licht zu rücken. Denn bisher gibt es in Berliner keine Gedenktafel oder einen Stolperstein für den jüdischen 1933 vertriebenen und in den 1950er Jahren nach Europa zurückgekehrten literarischen Tausendsassa.

Walther ist dazu den Spuren Robert Gilberts u.a. nach München, Wien, Zürich und an seinen späteren Schweizer Wohnort Minusio gefolgt. Virtuell hat er in Archiven in der ganzen Welt recherchiert. Gilberts Biographie erschien als Dissertation erstmals 2016, Ende 2019 folgte die überarbeitete Buchausgabe. Ein Lesevergnügen ist Walthers Buch obendrein, denn er lässt Gilbert viel selbst zu Wort kommen mit Originalzitaten aus Briefen, Textzeilen seiner Schlager oder mit Lyrik und Prosatexten. Und wer hätte gedacht, dass der Erfolg des Musicals „My Fair Lady“ in Deutschland nicht zuletzt auf der kongenialen Übersetzung von Robert Gilbert beruht. „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ ist zum geflügelten Wort geworden. Und Christian Walther hat im Zuge seiner Recherchen gleich auch noch entdeckt, dass die beliebte Zeile wahrscheinlich sogar noch eine Co-Autorin hat, die bisher im Verborgenen blieb: auch Robert Gilberts Ex-Ehefrau Elke Gilbert erhält so hoch verdiente Aufmerksamkeit für ihre Übersetzertätigkeit. Gleichwohl Gilbert nach dem zweiten Weltkrieg aus den USA dauerhaft nach Europa bzw. in die Schweiz zurückgekehrt ist und mit seiner Arbeit fast produktiver als vor der Emigration war, saß das Trauma der Verfolgung und Emigration tief. Als sich am 25. Oktober 1961 der Vorhang zur Deutschsprachigen Erstaufführung von „My Fair Lady“ im Berliner Theater des Westens hob, war Gilbert nicht anwesend. Seine Bedenken – zwei Monate zuvor war die Mauer gebaut worden – teilte er in einem Brief mit: „Warum soll ich mich in Gefahr begeben, der ich – in ähnlicher Weise – früher mal knapp entronnen bin“.

Gilbert hatte seine produktivste und erfolgreichste Zeit in den 1920er Jahren, bevor er 1933 - jüdischer Herkunft - in die Emigration gehen musste. In Zusammenarbeit mit dem Vater entstand auch früh sein erster Operettentext für die Operette „Annemarie“ 1919. Bis heute ist das Stück durch das Lied „Durch Berlin fließt immer noch die Spree“ im Bewusstsein der Berliner, erklang es doch erstmals 1958 und dann lange Jahre instrumental als Titelmelodie der Berliner Abendschau im damaligen SFB Fernsehen. Das war auch der Ausgangspunkt für Christian Walthers „Bekanntschaft“ mit Robert Gilbert. „Ich bin als Reporter der Abendschau auf Gilbert gestoßen, als ich wissen wollte, von wem die jahrzehntelang genutzte Vorspannmelodie "Durch Berlin fließt immer noch die Spree" stammte. Ich merkte, dass es über den Komponist und den dann noch interessanteren Texter kaum verlässliche Informationen gab - und machte mich an die Recherche, die sich dann von einer Film- und Artikelidee zu einer Dissertations- und Buch-Idee auswuchs“.

Geboren 1899 in der Warschauer Straße, kam Robert Gilbert 1918 in Kontakt mit dem revolutionären Spartakusbund, dessen Flugblätter er nach eigenen Angaben in seiner Wohnung hortete. Stärkste Waffe des links orientierten Studenten war jedoch das Wort. So entstanden Agitprop-Texte für das „Rote Sprachrohr“, eine Gruppe von jungen Leuten, die mit Sketchen und Texten Kabarett machten. Dort begegnete er auch Hanns Eisler, der als Pianist dabei war. Für Eisler schrieb Gilbert Texte, die dieser vertonte.

Geld verdiente er durch die Mitarbeit an anderen Kabaretts, die wie Pilze aus dem Nährboden der Umbruchszeit in der jungen Weimarer Republik schossen.

Foto: Hanns Eisler

Für Rosa Valetti und ihr Kabarett Größenwahn schrieb er Texte ebenso wie für Claire Waldoff („Warum liebt der Wladimir jrade mir“). Gilbert eroberte neben den Bühnen alle verfügbaren neuen Medien, von der Rundfunkkantate „Tempo der Zeit“ 1929, über Liedtexte und Drehbücher für den jungen Tonfilm, bis zur „Roten Roten Revue“, in der 1931 u.a. Ernst Busch, Helene Weigel und Blandine Ebinger mitwirkten.

Foto: Werner Richard Heymann

Produktive Komponisten wie Robert Stolz, Friedrich Hollaender, Ralph Benatzky, Nico Dostal oder sein Lebensfreund Werner Richard Heymann, mit dem er ab 1930 seine bekanntesten Schlager u.a. für den Film „Die drei von der Tankstelle“ schrieb, und die auch von den Comedian Harmonists gesungen wurden, („Ein Freund, ein guter Freund“, „Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen“, Irgendwo auf der Welt“ (Musik: Werner Richard Heymann, Text: Werner Richard Heymann & Robert Gilbert), „Das ist die Liebe der Matrosen“), rissen ihm die Texte aus der Hand, um die Bedürfnisse des boomenden Schlagermarkts für Filme, Revuen und Kabaretts zu bedienen. 1930 hatte in Berlin auch Benatzkys „Im weißen Rössl“ Premiere, Gilbert wurde in letzter Minute dazu geholt und textete alle Lieder neu. Obendrein komponierte und steuerte er den Hit „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ zum Sensationserfolg bei.

Nach der Hochzeit mit Elke Gilbert lebten die Gilberts zunächst in Wilmersdorf, auch für eine kurze Zeit in der Künstlerkolonie am heutigen Ludwig-Barnay-Platz Nr. 1, nahe des Breitenbachplatzes, schräg gegenüber von seinem Freund Ernst Busch, mit dem er politisch für die Kommunisten aktiv war, und auch von Busch vorgetragene Lieder textete.

Foto: Ernst Busch

Gilbert, der eigentlich David Robert Winterfeldt hieß und sich das populäre, weltläufige und französisch auszusprechende Pseudonym seines erfolgreichen Vaters ebenfalls zu eigen machte, schrieb auch unter dem Namen David Weber. Zum Beispiel das sozialkritische „Stempellied“, 1929 in der „Katakombe“ aufgeführt, für das Hanns Eisler die Musik schrieb und mit dem Gilbert die sozialen Verhältnisse analysierte und in zynische, Dialekt gefärbte Worte fasste. „Äußerst schnell schafft die Gesellschaft Menschen auf den Müll“. Gilbert sah in der Zeit der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre seine Wandlung vom „Von Schopenhauer zum Gassenhauer“ in der finanziellen Notwendigkeit. Der zynische Bänkelsänger konnte auch „lieb“ sein, wenn es um den Broterwerb geht. 1933 wurde es für den jüdischen Kommunisten Gilbert und seine Familie höchste Zeit, das Land zu verlassen. Zunächst ging er nach Wien, dann über Paris in die USA. Dort arbeitete er unter Pseudonym weiter, publizierte in Exilblättern wie der „Neuen Weltbühne“. Seine Lieder wurden so auch in Deutschland gespielt. Der Start in den USA war schwer, doch er sei „durch nichts mehr zu erschrecken! Adolf und seine Schergen haben mich ziemlich abgehärtet“. Gilbert streckte die Fühler in alle Richtungen aus, Film, Broadway, Emigrantentheater, Operette. Für Robert Stolz‘ New Yorker Produktion der „Lustigen Witwe“ schrieb Gilbert Extra-Verse. Hitlers erklärte Lieblingsoperette machte auch vor dem Broadway nicht Halt.

Lyrik war das Medium seiner Selbstreflexion im Exil. In den USA erschien ein Gedichtband quasi im Selbstverlag, besprochen in der Emigrantenzeitschrift "Aufbau": „Das lyrische Tagebuch eines Autors, der es fertig gebracht hat, mitten im Steinmeer von Manhattan Berliner Dialektgedichte zu schreiben“. Kurz nach seiner Einbürgerung in den USA endete der Krieg und Gilbert ging 1949 in die Schweiz. Beispielhaft begann er einen Kampf um Rückübertragung mit Behörden und der GEMA, denn seine Pseudonyme waren nicht be- bzw. anerkannt. Im Vergleich mit anderen Rückkehrern fasste Gilbert arbeitsmäßig schnell wieder Fuß. Er schrieb für Bühne, Film und Kabarett. Mit den Komponisten Mischa Spoliansky und Friedrich Hollaender wagte er in Rückbesinnung auf die 1920er Jahre eine Revue. Texte entstanden für eine Neuverfilmung von „Im weißen Rössl“ und den Film „Alraune“ mit Hildegard Knef. Hier knüpfte Gilbert auch an die Zusammenarbeit mit Werner Richard Heymann an, der für den Film die Musik schreibt.

Foto: Hannah Arendt und Ernst Blücher

Vielleicht war es Hannah Arendt, die Gilbert in Anlehnung an Mozarts erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Autor Lorenzo Da Ponte als „Da Ponte“ Heymanns bezeichnete. Denn eng und langjährig befreundet war Gilbert seit den frühen 1920er Jahren mit Heinrich Blücher und später auch mit dessen Ehefrau Hannah Arendt. Die Freundschaft zu Blücher rührte aus Robert Gilberts Studentenzeit in den unruhigen Jahren direkt nach dem ersten Weltkrieg her. Die Philosophin und Autorin Arendt verfügte sogar, dass Gilberts Schlager „Das ist die Liebe der Matrosen“ aus der Filmoperette „Bomben auf Monte Carlo“ 1975 auf ihrer Beerdigung gespielt werden sollte. Herzenstreuer kann Freundschaft nicht sein. Unter der populären Oberfläche von Gilberts Text zu Werner Richard Heymanns Superschlager „Ein Freund, ein guter Freund“ („Die drei von der Tankstelle“) lag ein authentischer, integrer und menschlicher Kern. Nach „My Fair Lady“ erschloss sich Gilbert für seine letzten Lebensjahre mit mehr als 20 Musical-Übersetzungen einen weiteren erfolgreichen Berufszweig.

„Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines Stückchen Glück“ (Text: Heymann & Gilbert), ein Freund, ein guter Freund“ oder „Das ist die Liebe der Matrosen“, „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“: Gilberts Lebensgeschichte changiert selbst zwischen Operette und knallharter Realität, tragikomisch mit Berliner Schnoddrigkeit weggelacht. In Buchstaben gegossen zwischen Berlin und New York, Karriere und Exil, Erfolg und Klinkenputzen am Broadway, Polit-Ballade und Musical. Sein Text-Talent und eine künstlerische Resilienz haben den Zeit- und Ideologiegraben von der ausgelassenen toleranten Weimarer Republik zum Film, Kabarett und Theater der Nachkriegszeit mühelos überwunden. Max Raabe, bekannter Interpret von Gilbert-Liedern, benennt die Treffsicherheit von dessen Texten im Vorwort des Buches: „Sie nehmen sich zurück, doch man erahnt die Klugheit hinter ihren Versen. Denn in dieser scheinbaren Mühelosigkeit steckt natürlich viel Arbeit“. Für Christian Walther scheint „gerade ein Teil der politischen Lyrik hochaktuell, die Liedtexte haben sich ohnehin weitgehend als immergrün erwiesen“. Er findet den „Spagat von Revolution und Unterhaltung, den Wandel von Kommunist zu Antikommunist, die erzwungene Wanderung von Berlin durch die Stationen des Exils bis schließlich in die letzte Heimat, ins Tessin“ in der Lebensgeschichte von Robert Gilbert besonders spannend.

Der Band „Ein Freund, ein guter Freund“ ist mehr als eine Biographie. Gilberts Texte, insbesondere mit der Musik von Werner Richard Heymann, seinem Lieblingsfreund und Komponisten, sind bis heute präsent. Es ist das Verdienst von Christian Walther, die Texte in den zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet und ihrem Autor im Spiegel der Zeitgeschichte und seiner Zeitgenossen einen verdienten Platz in der Geschichte der Unterhaltungsmusik im 20. Jahrhunderts zugewiesen zu haben.

Christian Walther: Ein Freund, ein guter Freund

Robert Gilbert - Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution. Eine Biographie.

Erschienen: Oktober 2019 im Ch. Links Verlag ISBN: 978-3-96289-056-8

Redaktioneller Beitrag ohne Auftrag / keine bezahlte Werbung

Buch-Cover: Ch. Links Verlag

Foto Heymann: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Werner_R._Heymann.jpg#mw-jump-to-license

Foto Busch: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_pk_0000249_050.jpg#mw-jump-to-license

Foto Eisler: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Eisler1940.jpg#mw-jump-to-license

Foto Arendt / Blücher: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Eisler1940.jpg#mw-jump-to-license

Foto My Fair Lady: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:My_Fair_Lady_Berlin.jpg

Weitere Fotos: facebook.com/qulturberlin

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