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Ohrwürmer in der Tischlerei: Hörspiel von Ingeborg Bachmann als Musiktheaterstück

Ingeborg Bachmanns 1952 entstandenes Radio-Hörspiel „Ein Geschäft mit Träumen“ ist auch 68 Jahre nach seiner Entstehung in der unmittelbaren Nachkriegszeit hochaktuell. Die Regisseurin Anna von Gehren und die ukrainische, in Berlin lebende und arbeitende, Komponistin Alexandra Filonenko haben eine Bühnenfassung für die Deutsche Oper Berlin geschrieben. Premiere ist am 30. Januar 2020.

Ingeborg Bachmanns Arbeiten für das Medium Rundfunk sind umfangreich. Nach dem zweiten Weltkrieg war das Radio in den deutschen und österreichischen alliierten Besatzungsgebieten eines der beliebtesten Unterhaltungs-Medien. Theater und Kinos waren zerstört, geschlossen oder zu teuer. Das Hörspiel boomte und bot auch Gelegenheit für eine Reflexion des gerade vergangenen Krieges, von Traumata und Schuld. Der Amerikanische Besatzungssender „Rot-Weiß“ nutzte das Medium auch für eine psychologische Motivationsfläche der Bevölkerung zu demokratischem Denken.

Dazu war ein junges, unbelastetes Autorenteam engagiert, dem Ingeborg Bachmann zunächst als Sekretärin, dann als Redakteurin angehörte. 1952 war Ingeborg Bachmann 25 Jahre alt, für den Sender hat sie ihre Erzählung „Ein Geschäft mit Träumen“ zu einem Hörspiel überarbeitet. Es war nicht ihr einziges Radio-Stück. Für die unglaublich erfolgreiche Samstag-Abend-Radio-Serie „Die Radiofamilie“, eine Rundfunk-Soap, schrieb sie ab 1951 elf Folgen allein und weitere drei mit einem Co-Autor. Es folgten weitere Hörspiele für andere Sender.

Neben dem literarischen Schreiben probierte sie sich auch in anderen künstlerischen Disziplinen aus. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Lebensfreund Hans-Werner Henze entstanden die Libretti zu den Opern „Der Prinz von Homburg“ und „Der junge Lord“. Diese Oper erlebte ihre Uraufführung 1965 an der Deutschen Oper Berlin und so schließt sich ein Kreis mit der Uraufführung eines Bachmann-Hörspiels in neuer Form als Musiktheaterstück mit Live-Radio-Sequenzen und der Musik von Alexandra Filonenko.

„Ein Geschäft mit Träumen“ steht am Anfang von Bachmanns Ausnahme-Werk. Es reicht zurück in eigene Kriegserfahrungen und deren Verarbeitung in literarischer Form. Die Parabel zeigt Anna und Laurenz, zwei einfache Büro-Angestellte, die von einem diktatorischem Generaldirektor tyrannisiert werden. Die beiden verschüchterten Untergebenen versuchen es dem Vorgesetzten stets recht zu machen. Nach Dienstschluss trifft Laurenz zufällig auf ein Geschäft, in dem Träume verkauft werden. Der Verkäufer führt Laurenz drei Träume vor. Im ersten Traum strengt der Generaldirektor gegen Laurenz und Anna einen Luftkrieg an. Laurenz versucht Anna und sich unterirdisch zu retten. Laurenz ist unzufrieden und lässt sich einen weiteren Traum zeigen, in dem der Generaldirektor ihn mit mit „verehrter Herr Generaldirektor“ anspricht. Laurenz möchte auch diesen Traum nicht kaufen. Im letzten Traum geht Anna in einem großen weißen Schiff unter. Laurenz folgt ihr unter Wasser. Zwischen Fischen und Meerestieren gestehen sich Anna und Laurenz ihre Liebe. Diesem Traum würde Laurenz kaufen, will aber mit Geld und nicht mit Zeit bezahlen, wie es der Verkäufer verlangt. Unverrichteter Dinge kehrt er am nächsten Tag ins Büro zurück. Nichts hat sich geändert.

Für Anna von Gehren ist das Stück hochaktuell, „denn natürlich ist auch unsere Gegenwart nicht frei von Diktatoren oder Faschisten. Auch wir sind oft in Strukturen gefangen und suchen oder finden unsere eigenen Wege, um aus ihnen zu entfliehen. Und so wird aus diesem Stück ein Nachdenken über Traum und Trauma, Zeit und Wirklichkeit.“ Alexandra Filonenko: „Musik muss sprechen. Mein Ziel muss es sein, dass die Musik der Sprache von Ingeborg Bachmann verwandt ist! Ihr Text ist sehr sinnlich, musikalisch, fast körperlich, er wirkt auf mich wie ein Drehbuch. Für die Protagonisten des Stücks, Laurenz und Anna, habe ich Motivmelodien geschrieben, die zu Leitmotiven werden: Es sind Ohrwürmer! Das ist großartig, wenn das gelingt: Du gehst aus dem Stück – und das Motiv bleibt.“ Für die Komponistin war es auch ein Anliegen, mit der Musik eine Spur in die Seele der Autorin zu legen: „Und so lese ich nicht zuletzt Bachmann: Verwurzelt, aber doch allein – und immer nah am Verdursten. Zerbrechlich, verlassen, eine Einzelgängerin“.

Ein Geschäft mit Träumen von Ingeborg Bachmann Musik von Alexandra Filonenko. Konzept, Inszenierung: Anna von Gehren. Mit Pia Davila, Daniel Gloger, Silke Lange, Ruth Velten, So-Hee Kim.

30. Januar, 1. und 3. Februar

Tischlerei der Deutschen Oper Berlin, Richard-Wagner-Straße / Ecke Zillestraße, 10627 Berlin. www.deutscheoperberlin.de

Redaktioneller Beitrag ohne Auftrag / keine bezahlte Werbung Fotos: facebook.com/qulturberlin

Foto Schreibmaschine: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Keys_(5714664827).jpg#mw-jump-to-license

Foto Radio: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Erres_radio_ontvanger_pic1.jpg#

Foto Bachmann-Büste: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Bachmann_bueste.jpg#mw-jump-to-license

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