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Herr der Historie des 1896 eröffneten Theater des Westens an der Berliner Kantstraße ist der 48jährige Berliner aus Leidenschaft und Familientradition geworden. Sein Vater war technischer Leiter an der Schaubühne, mit ihm verbrachte Thimo als Kind viel Zeit hinter Theaterkulissen. "Bei uns zuhause hing ein Plakat mit Nurejew und Margot Fonteyn im Wohnzimmer. Das stammte aus dem Theater des Westens und ich war wahnsinnig neugierig, wer die beiden waren".
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Thimo Butzmann arbeitet seit 1992 als Bühnenhandwerker und Betriebstechniker am Theater des Westens. In dieser langen Zeit der wechselnden Intendanzen hat er bei jedem Neustart aussortierte Materialien, Poster, Original-Türklinken der Entstehungszeit, Programmhefte, Requisiten und Bilder dem Müll entrissen, vor der Auslagerung in entfernte Storageräume bewahrt oder in versteckten Winkeln und Giebeln verborgene Schätze aus der 122jährigen Geschichte geborgen.
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Auf Flohmärkten komplettiert er seine Sammlung. Seine Schätze lagern in einem Raum im Theater.
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Stage Entertainment unterstützt und ermöglicht die Archivtätigkeit. Bereits als Jugendlicher „erbte“ er alte Koffer voller Programmhefte, Besetzungszettel und Textbücher aus dem Freundeskreis der Familie.
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Lange Wochenenden verbrachte Thimo Butzmann auf Berliner Flohmärkten auf der Jagd nach alten Theaterfotos, Kuriosa und Theaterreliquien. Seine private Sammlung, bereichert um Nachlässe Berliner Schauspieler und Theatermitarbeiter, steht den im Theater gesicherten Dokumenten und Materialien um nichts nach. Immer wieder erhält er Anfragen von Historikern, Wissenschaftlern und interessierten Privatleuten.
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Auch zur Berliner Operngeschichte, insbesondere der Endvierziger und 1950er Jahren hat Thimo Butzmann viel Material zusammengetragen. Nach dem Krieg war das Theater des Westens bis zur Eröffnung des Neubaus an der Bismarckstraße Spielstätte der ausgebombten Städtischen Oper. Auch zum legendären Gastspiel von Maria Callas mit der Mailänder Scala 1955 hat er Material gefunden.
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Besonders am Herzen liegen ihm Spuren von in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Künstlern, die zuvor dem Haus verbunden waren, denen sich in Fotos oder auf Besetzungszetteln, Verträgen nachspüren lässt. Denn natürlich findet sich auf alten Fotos und Dokumenten auch die andere Seite, die schreckliche Fratze der NS-Zeit, im Theatergebäude wieder. Hitlerbüste und Hakenkreuzwand waren im Spiegelfoyer unübersehbar.
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Mit den Archivaren anderer Berliner Theater trifft sich Butzmann regelmäßig zum Austausch. Gemeinsam wollen sie die Digitalisierung ihrer jeweils einzigartigen Sammlungen vorantreiben.
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Was macht in seinen Augen einen guten Archivar aus? "Eine gute Nase dafür zu haben, was wichtig für die Geschichte des Hauses und der Berliner Theater ist oder wichtig werden könnte". Zum Beispiel das Original-Stück der Stofftapete von 1896, unter dem Zeitungs-Reste kleben.
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Oder Original-Putten aus dem Foyer, die bei Umbauten abgenommen wurden.
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Berührend findet er die Funde in Nachlässen, liebevoll eingeklebt und mit Hinweisen versehen: "Mit Mutter zur Walküre". Stolz ist Thimo Butzmann auf seine lückenlose Rekonstruktion des Spielplans von 1896 bis heute. Das sei in Berlin einzigartig.
Erklärtes Lieblingsstück in seinem stetig wachsenden Archiv ist ein Stück der originalen Gold-Mosaiken aus dem nicht mehr existierenden Parzival-Zimmer im Keller. Der Komponist Friedrich Hollaender, der dort ab 1931 das Kabarett Tingel Tangel betrieb, soll es am Uraufführungstag seiner Anti-Hitler-Revue "Spuk in der Villa Stern" eigenhändig aus der Wand gehauen haben.
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Das Theater des Westens Der Theaterbau an der Charlottenburger Kantstraße schrieb in den bisherigen 123 Jahren seines Bestehens Berliner Theatergeschichte. Im Herbst 1895 kaufte der Architekt Bernhard Sehring den Kohlenplatz der Meierei Bolle und errichtete ein Privattheater.
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Nachdem er innerhalb von nur zwei Jahren mit dieser Unternehmung pleite ging, wurden unter neuer Direktion Operetten und Opern aufgeführt. 1905 gab Enrico Caruso sein Berlin-Debüt im Theater des Westens.
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1920 zog als Untermieterin die Diseuse Trude Hesterberg mit ihrem Kabarett Wilde Bühne in das Parzival-Zimmer, eines der aufwändig gestalteten Erfrischungszimmer im Untergeschoß.
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Abgelöst wurde die Wilde Bühne vom Kabarett Tütü und schließlich von dem von Friedrich Hollaender gegründeten Tingel Tangel. Ab 1934 wurde das Haus unter nationalsozialistischer Führung als Volksoper geführt. Nach einem schweren Luftangriff während des Zweiten Weltkriegs waren Teile des Daches beschädigt und der Spielbetrieb wurde eingestellt. Ab Mitte Mai 1945 bis 1961 diente das Haus als Ausweichquartier der zerstörten Städtischen Oper Berlin. Mit der Oper "Fidelio" fand am 2. September 1945 die erste Opernaufführung in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Ab 1961 wurde wieder Operette und erstmals auch Musical gespielt. Am 1. Oktober 1961 fand hier die deutschsprachige Erstaufführung von "My fair Lady" statt. Ab 1984 erlebte das Haus unter der künstlichen Leitung von Helmut Baumann und der Intendanz von Götz Friedrich einen sensationellen Neustart.
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Bis 1999 brachte Baumann Musicals wie die deutschsprachige Erstaufführung von „La Cage aux Folles – Ein Käfig voller Narren“, "Cabaret", "Grand Hotel", "Company" und Revuen sehr erfolgreich heraus. Es folgte eine kurze Spanne, in der das Musical "Falco Meers Amadeus" erfolgreich lief.
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Schließlich übernahm Anfang der 2000er Jahre der private Unterhaltungs-Konzern Stage Entertainment das Haus.
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Wer Interesse hat, das kleine Archiv zu besuchen, kann mit Thimo Butzmann Kontakt aufnehmen: thimo.butzmann@stage-entertainment.de Fotos Qultur Berlin und Archiv im Theater des Westens Postkarte https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:19060801_charlottenburg_gruss_aus_dem_theater_restaurant_des_westens.jpg#mw-jump-to-license Ticket https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_Theater_des_Westens_1929_Eintrittskarte.jpg#
Saalplan: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Theater_des_Westens_in_Berlin_W,_Kantstraße,_Bestuhlung_1912.jpg#mw-jump-to-license Trude Hesterberg: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Trude_Hesterberg_by_Alexander_Binder.jpg#mw-jump-to-license Fidelio: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_pk_0000016_b_038_Szenenbilder.jpg#mw-jump-to-license
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